Interview von 1979/80 zu „Mirjam I“, in: Gerda Jun: Kinder, die anders sind. Ein Elternreport. Frankfurt a.M./Berlin 1994, S. 31-37. [Auszüge]

Aber auch [an eine Entwicklungsstörung unseres Kindes] konnten wir nur schwer glauben. Vorher wußten wir auch gar nicht, daß es so was überhaupt gibt… Langdon-Down. Es war ja auch im Prinzip für uns nichts hundertprozentig Bewiesenes, es war auch noch keine genetische Untersuchung gemacht worden. Vielleicht hatte man sich mit der Diagnose geirrt? […] Es war eigentlich alles nur Spekulation. Unsere niedliche Mirjam wirkte ganz normal, wenn auch die Augen… […] Die Gewißheit, daß es doch ein behindertes Kind ist, kam erst allmählich. Man mußte es uns eigentlich erst geduldig einreden; wir haben immer gesagt Na, das kann gar nicht sein, das ist übertrieben; da hat nun mal einer zum Anfang so was gesagt, und wer weiß es genau? Mir ist natürlich heute klar, daß Fachleute das an der Augenstellung und anderen Körperzeichen sofort sehen können. Aber wir doch nicht! Dann mit der Krippenzeit, da ging es eigentlich für uns erst richtig los; meine Frau wollte wieder arbeiten gehen. Im Zusammenhang mit der Tagesunterbringung wurde es für uns dann doch deutlich, daß Mirjam ein behindertes Kind ist. Man hatte uns gesagt, daß es für sie eine besondere Krippe gäbe, eine Tagesstätte für Behinderte, und daß für unsere Tochter dort der richtige Platz sei. Na ja, und mit der Fördertagesstätte war es dann eigentlich irgendwie klar, wir haben es dann angenommen und uns darauf eingestellt. Wir konnten jetzt auch vergleichen, dort waren ja auch andere geschädigte Kinder, und wir mußten uns erst mal auf die spezielle Langdon-Down-Art einstellen, so daß wir dafür einen Blick bekamen. Dann habe ich auch mal größere Langdon-Down-Kinder beobachtet und dabei festgestellt, daß sie gar nicht so behindert sind. Ihr etwas anderes Aussehen und der schwere Gang, aber sie waren weder traurig noch leidend. […] Enttäuschungen von anderen Menschen in Bezug auf Mirjam haben wir eigentlich nicht erlebt. Alle Bekannten haben sich positiv auf sie eingestellt und freuen sich auch über ihre Entwicklung. […] Wenn wir im Fahrstuhl fahren und es sind mehrere Leute drin, sind wir nicht sicher, daß die anderen überhaupt merken, daß Mirjam ein behindertes Kind ist. Zum Teil vielleicht ja…, ich meine, wenn man ganz genau guckt! Ja, man guckt, wie der guckt, und ist gespannt, wie nehmen die anderen das auf… […]
Date: 1979/80

Bibliographische Angaben

Gerda Jun: Kinder, die anders sind. Ein Elternreport. Frankfurt a.M./Berlin 1994, S. 31-37. [Auszüge]

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